Emotionaler Halt, Zuversicht, ein geringeres Belastungsgefühl, großen Informationsgewinn und das Wissen, nicht allein zu sein: Selbsthilfe hat eine rasche und spürbare Wirkung. Das belegen mittlerweile Studien. Vor 40 Jahren war Selbsthilfe noch nicht anerkannt. Daher war es ein „mutiger Schritt und ein starkes Zeichen für Bürgernähe und soziales Engagement“, als der damalige Sozialreferent Dr. Peter Motsch 1985 die „Selbsthilfekontaktstelle“ im Sozialreferat der Stadt Würzburg gründete. Oberbürgermeister Martin Heilig würdigte dies in seinem Grußwort zur Geburtstagsfeier der Selbsthilfekontaktstelle im Aktivbüro: „Unser Aktivbüro ist ein Ort der Begegnung, der Unterstützung und der Ermutigung. Es bietet Orientierung, Räume für Selbstorganisation und begleitet Selbsthilfegruppen kompetent und einfühlsam auf ihrem Weg, themenübergreifend, digital vernetzt und offen für neue Bedarfe. Es ist Motor und verlässlicher Partner.“
Getragen wird die Selbsthilfe in unserer Region von den Selbsthilfegruppen, dem Aktivbüro und den zahlreichen Institutionen, der SeKo Bayern, den Würzburger Kliniken, sozialen Einrichtungen, Beratungsstellen und den Krankenkassen sowie dem Landesamt für Pflege. Die Krankenkassenverbände in Bayern stehen seit vielen Jahren als verlässliche mitfinanzierende Partner zur Seite. „Diese tragende Säule ist ein anerkanntes Standbein unseres sozialen und gesundheitlichen Versorgungssystems“, so Heilig. Ihren guten Ruf hat sich die Selbsthilfe selbst erarbeitet. Die Selbsthilfebewegung wurde als soziale Bewegung neben der etablierten gesundheitlichen und sozialen Versorgung gegründet, die von Fachleuten dominiert wurde und den Betroffenen wenig Mitsprache einräumte. Mittlerweile verfügt Deutschland über ein international einmaliges Netzwerk aus Selbsthilfekontaktstellen – viele davon mit hoher fachlicher Expertise und großem Einfluss.
Die ersten Gruppen in Würzburg widmeten sich vor 40 Jahren chronischen Erkrankungen wie Osteoporose, Aphasie oder Essstörungen. Es folgten bald bestehende Gruppen aus Bereichen wie Abhängigkeitserkrankungen, queerer Selbsthilfe, HIV- und Aidsarbeit, sowie Gruppen für Angehörige von Alzheimererkrankten und Menschen mit Depressionen. Heute gibt es allein acht Gruppen zum Thema Depression, darunter drei für junge Menschen. Diese zählen zum Bereich der „Jungen Selbsthilfe“, welche junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren gezielt anspricht. „Dieser Gruppe in der Kontaktstellenarbeit mehr Bedeutung beizumessen, zählt als großer Meilenstein“, äußerte sich der Oberbürgermeister und dankte allen Beteiligten, den Mitarbeitenden im Aktivbüro, den Partnern und natürlich den Ehrenamtlichen aus den rund 250 Selbsthilfegruppen in Würzburg, für „40 Jahre gelebtes Miteinander, gegenseitige Hilfe und den unerschütterlichen Glauben daran, dass Menschen füreinander da sein können.“
Dr. Hülya Düber, Mitglied des Bundestages und bis Anfang dieses Jahres noch Sozialreferentin der Stadt Würzburg, blickte an diesem Abend zehn Jahre zurück, als sie das Amt der Sozialreferentin neu bekleidete und den 30. Geburtstag der Selbsthilfekontaktstelle feiern konnte. In diesen zehn Jahren sei Selbsthilfe immer stärker und anerkannter geworden, was sich auch in den Kooperationen mit drei Krankenhäusern, dem Bezirkskrankenhaus Lohr, der Universitätsklinik, dem Klinikum Würzburg Mitte wie auch Arztpraxen und den Medizinischen Versorgungszentren zeige. „Als uns Corona aber dramatisch den Stecker zog“, so Düber, „zunächst gar keine Treffen mehr möglich waren und wir sogar Häuser schließen mussten, förderten wir die Digitalisierung der Selbsthilfe.“ Diese könnte den direkten Austausch natürlich nicht ersetzen, eröffne jedoch die Möglichkeit weiterer Teilhabe. Denn: „Selbsthilfe ist mehr als ein Stuhlkreis.“
Ihre Nachfolgerin, die neue Sozialreferentin Eva von Vietinghoff-Scheel, freute sich, an ihrem zweiten Arbeitstag den wichtigen Einsatz der Selbsthilfe würdigen zu können: „Selbsthilfe stärkt, verbessert die Lebenssituation von Betroffenen, hilft, belastende Lebensumstände besser zu bewältigen, führt Menschen aus der Isolation und schenkt ihnen neue Perspektiven. Selbsthilfegruppen bieten eine neue Heimat.“ Selbsthilfe habe in den letzten Jahren ihre Krisenresistenz unter Beweis gestellt und das Aktivbüro werde mit den Selbsthilfegruppen immer neue Wege gehen, versprach die Sozialreferentin.
Warum Selbsthilfe wirkt, darüber sprach Jürgen Matzat, Diplom-Psychologe, psychologischer Psychotherapeut und langjähriger Leiter der Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen in Gießen. Weitere Gründe für den Erfolg der Selbsthilfe, neben den zuvor erwähnten, sind beispielsweise ihr Beitrag zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, die Kompensation des Zerfalls sozialer Netze wie auch die Anerkennung der Selbsthilfe als Element des Gesundheitssystems. Matzat war einer der Gründer und langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V..
Die musikalischen Beiträge des Abends stammten von Rhobin, der selbst zusammen mit anderen in der Selbsthilfe aktiv ist. Malerin Christiane Gaebert fertigte während der Vorträge ein Bild, das mit starker Linienführung die Akteure des Abends zusammenfasste.
BU: Ein Erfolgsmodell, das von Würzburg aus Schule machte: Die Selbsthilfekontaktstelle feiert in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag. Heute ist Selbsthilfe nachgefragt und auch aufgrund ihrer medizinisch positiven Wirkung anerkannt. Die Geburtstagsfeier begangen mit vielen Gästen aus der Würzburger Selbsthilfe v.li. Sozialreferentin Eva von Vietinghoff-Scheel, Susanne Wundling (Selbsthilfeberatung Aktivbüro), Oberbürgermeister Martin Heilig, MdB Dr. Hülya Düber und vorherige Sozialreferentin, Kristin Funk (Leiterin des Aktivbüros).
Foto: Claudia Lother