Fastnacht. Tanz und Spiele in Nürnberg

von Aytürk
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Kölle alaaf – Nürnberg aha! Die „fünfte Jahreszeit“ begeistert Menschen seit Jahrhunderten. Verkleidete ziehen durch Innenstädte, spielen „verkehrte Welt“ und lehnen sich spielerisch gegen die Obrigkeit auf. Dabei ist kaum bekannt, dass Nürnberg im Spätmittelalter eine wahre Fastnachtshochburg war. Der Nürnberger Schembartlauf ist einer der ältesten in Zentraleuropa, für das Jahr 1449 ist der erste vom Rat genehmigte Umzug belegt. Erstmals greift das Germanische Nationalmuseum diese einzigartige Fastnachtstradition und ihre Hintergründe in einer Sonderausstellung ab Dienstag, 11. Nov 2025 auf.

Hölle des Jahres 1539 auf Nürnberger Hauptmarkt

Schon im 15. Jahrhundert begingen die Nürnberger den sogenannten Schembartlauf (= Maskenlauf / Schembart = Maske). Zur Belustigung der Bevölkerung liefen Maskierte durch die engen Gassen der Stadt und zündeten Feuerwerk. Auf das Festgeschehen übte in Nürnberg der Stadtrat großen Einfluss aus. Die Nürnberger Schembartläufe sind damit die ersten obrigkeitsorganisierten Fastnachtsumzüge. Innerhalb weniger Jahrzehnte verwandelte das Patriziat den Schembartlauf zu einem Prunkumzug mit Festwagen und immer aufwendigeren Verkleidungen – eine Idee, die auf andere Städte abfärbte.

Ihren Ursprung haben die Schembartläufe in einer Art Schutztruppe für die Nürnberger Metzger. Diese zogen bereits im 14. Jahrhundert tanzend durch
die Innenstadt, ab 1449 umgeben von Läufern mit Masken und in militärisch anmutender Aufmachung mit Holzspeer und Büscheln, um Schaulustige auf Abstand zu halten. Mit der Zeit begann sich diese Gruppe zu verselbständigen und organisierte eigene, unabhängige Schembartläufe. Die Tradition sollte bis 1539 andauern.

Modell Rialto-Brücke, spätes 16. Jhdt.

Im Jahr 1468 verkauften die Metzger erstmals ihr Privileg, einen Umzug in der Nürnberger Innenstadt durchführen zu dürfen. Die Patrizier ergriffen die
Gelegenheit, erwarben die Rechte und begannen, den Zug zur repräsentativen Inszenierung zu nutzen. Es gab jährlich einen „Hauptmann“, der die Verantwortung trug. Startpunkt war in der Regel ein Wirtshaus oder eine Trinkstube, wo sich die Teilnehmenden trafen und in Stimmung brachten, dann gemeinsam loszogen – um abschließend wieder dort einzukehren und den Abend feucht-fröhlich ausklingen zu lassen.

Schembartläufer des Jahres 1482

Für 1475 ist erstmals belegt, dass auch ein Festwagen mitgeführt wurde – die sogenannte „Hölle“. Als Höhepunkt des Umzugs wurde sie auf dem Nürnberger Hauptmarkt öffentlich verbrannt. Die Figuren standen auf einer Art Schlitten und erinnerten mal an einen Drachen oder Basilisken oder stellten Menschenfresser oder gar den Teufel dar. Vor der Ausstellungshalle beeindruckt ein Basilisk, ein Nachbau der Hölle von 1507.

Die Schembartbücher

Woher wissen wir all das? Ausgangspunkt für die Ausstellung sind die kostbaren Schembartbücher, von denen heute mehr als 100 Exemplare bekannt sind, von denen sich 30 im Bestand der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums befinden. Sie entstanden zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert und beschreiben und illustrieren rückblickend die Umzüge. Von keinem zweiten Bürgerfest im deutschsprachigen Raum ist eine solche Text- und Bilderfülle erhalten. Die etwas mehr als A4-großen Bänden zeigen farbintensive ganzseitige Abbildungen einzelner Schembartläufer und Höllen, nennen die Hauptmänner und Anzahl der Teilnehmenden am Festumzug eines Jahres und vieles mehr. Erstmals sind die außergewöhnlichen Bücher in dieser Fülle ausgestellt.

Fastnachtsspiele und weitere Veranstaltungen

Doch es gab nicht nur Umzüge. Ergänzt wurden die Schembartläufe häufig mit Fastnachtsspielen, die in den Tagen rund um den Schembartlauf die Öffentlichkeit anzogen. Die ganze Stadt verwandelte sich in eine Bühne, in Wirtshäusern oder Innenhöfen wurden Stücke aufgeführt – mal gesitteter, mal derber, mal in größerem und mal in kleinerem Rahmen. Die Themen waren denen der Umzüge verwand: Man spielte „verkehrte Welt“, kritisierte die Obrigkeit und machte sich über ungleiche Paare lustig. In diesem Geist steht auch das sogenannte Gesellenstechen: Im Jahr 1446, drei Jahre vor dem ersten Schembartlauf, veranstalteten Gesellen (= junge Patrizier) am Rosenmontag zum ersten Mal ein Turnier – ein Affront gegen den Adel, dem eigentlich das Privileg der Durchführung eines Turniers oblag.Schembartlauf und Gesellenstechen basieren auf derselben Idee: der Repräsentation der Patrizier und ihrer Stellung innerhalb der Stadt.

Blick auf zwei Schembartbücher

Ebenso hatten die Handwerker ihren Auftritt. Warum gerade sie? Einer Überlieferung zufolge lehnten sich im Jahr 1348 die Nürnberger Handwerker gegen den Rat der Stadt auf. Alle beteiligten sich – mit Ausnahme der Metzger. Ihnen kam daher in der Folgezeit ein Sonderstatus zu, diese Berufsgruppe genoss besondere Rechte wie das Durchführen von öffentlichen Umzügen und Tänzen. Auch wenn sie dieses Privileg später veräußerten, traten die Metzger weiterhin im Kontext der Schembartläufe auf. Die Tänze weiteten sich auf andere Gewerke aus. Die Metzger hielten als Kennung Lederringe in ihren Händen, die an Würste erinnern, die Schreiner trugen Kostüme und Flaggen aus Holzspäne und führten ein „schönes Haus“ mit.

Immer nach der Mode

Auch wenn kostümiert, waren die Schembartläufer doch stets nach der Mode gekleidet: enganliegende Hosen, Hemden mit Wams, geschlitzte Ärmel und die Art der Schlitzung entsprachen jeweils den aktuellen Trends. Offenbar wurden die Kostüme regelmäßig aktualisiert und angepasst, spitz zulaufende Schuhformen durch runde und später durch Kuhmaulschuhe ersetzt.

Wie lange hatte diese Tradition Bestand? Als Ende gilt meist die Reformation. Das Fastnachtstreiben verlor an Bedeutung, weil das Fasten in der reformierten Kirche keine Rolle mehr spielte. Der Brauch, vor der ernsten Fastenzeit die Obrigkeit auf die Schippe zu nehmen und Kritik an Kirche und Herrschaft zu äußern, verebbte. Nur vereinzelt fanden noch Umzüge statt.

Rezeption

Vor allem im 19. Jahrhundert, der Epoche der romantisch-verklärten Rückbesinnung erlebte der Schembartlauf eine Renaissance. Nicht mehr aufgeführt, aber in Bilderbögen, Zeitschriften, Gemälden und Glasfenstern erfuhren Darstellungen der Nürnberger Umzüge eine neue Blüte. Damals begann die Stadt Nürnberg, sich wieder mit dem Schembartlauf zu identifizieren, sie gab Jubiläums-Medaillen heraus – und 1974 gründete sich die Schembartgesellschaft, die bis heute die Tradition der Schembartläufe lebendig hält.

Kaiser Sigismund, 1511/13

Die Ausstellung endet mit raren Beispielen Nürnberger Persönlichkeiten, deren Teilnahme an Schembartläufen belegt ist. Beeindruckend ist das Schembartbuch des Pangratz Bernhaubt-Schwenter, das der Nürnberger Humanist mit persönlichen Kommentaren und Eindrücken versah. Eindrücklich ist seine Schilderung eines festlichen Umzugs der Wallonischen Kaufleute – vom Rat nicht genehmigt, aber offenbar gebilligt –, den die heimischen Schembartläufer als Konkurrenz empfanden. Die Nürnberger protestierten, wurden den Wallonen gegenüber handgreiflich, es kam zur Massenschlägerei. Auch solche überraschenden und ungewöhnlichen Informationen findet man in den mehr als spannenden Schembartbüchern.

Anlass für die Ausstellung ist das 975-jährige Stadtjubiläum. Die Sonderschau entstand in Kooperation mit der Stadtbibliothek Nürnberg, dem Stadtarchiv Nürnberg, dem Staatsarchiv Nürnberg und den Museen der Stadt Nürnberg.

Das Germanische Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg ist das größte kulturgeschichtliche Museum des deutschen Sprachraums. Seit seiner Gründung 1852 verbindet es Menschen und Kulturen über nationale Grenzen hinweg. Mit 1,4 Millionen Objekten erforscht und vermittelt das GNM einen bedeutenden Bestand des materiellen Kulturerbes Zentraleuropas. Es ist heute eines der acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft.

Kurator*innen

Dr. Johannes Pommeranz
Leiter der Bibliothek
Dr. Anne Sowodniok,
Wissenschaftliche Volontärin

Eintritt

im Eintritt von 10,- €, erm. 6,- € enthalten

Öffnungszeiten
Di, Do – So 10:00 – 18:00 Uhr
Mi 10:00 – 20:30 Uhr (Eintritt frei ab 17:30 Uhr

Katalog
Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog zum Preis von € 25,- erschienen.

Familien-Aktionstag

Am Sonntag, 1. Februar 2026 lädt das GNM zu einem Aktionstag rund um die Sonderschau. Zwischen 11 und 16 Uhr finden Kurzführungen durch die Ausstellung statt, ist die Masken-Werkstatt geöffnet, in der man Masken herstellen und bemalen kann, außerdem eine Ballett-Aufführung unter der Leitung von Sophie Antoine und närrische Tänze der Schembartläufer der Nürnberger Schembart Gesellschaft.
Eintritt und alle Aktionen sind kostenfrei.

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