21.10.2025 – In Heidelberg hat unter dem Titel „Täternetzwerke als Herausforderung für wissenschaftliche Studien zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ ein zweitägiger Workshop mit 25 Teilnehmenden stattgefunden. Dieser wurde von den Forschungsinstituten SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies und ISA – Institut für soziale Arbeit aus Münster ausgerichtet. Für die Unabhängige Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs nahm Prof. Dr. Stephan Rixen teil.
Die Teilnehmenden kamen insbesondere aus dem englischsprachigen Ausland (Australien, Irland und Schottland). Darunter waren Forschende, die an Hochschulen, außeruniversitären Forschungsinstituten und in spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien an Aufarbeitungsstudien arbeiten, sowie Personen, die in Betroffenenräten die Interessen Betroffener bei Aufarbeitungsprojekten vertreten und Betroffene begleiten.
Schnell wurde klar, dass insbesondere im englischsprachigen Raum Täternetzwerke im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs ein etablierter Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sind. So berichtete etwa ein Forschungsteam aus Australien über jahrzehntelang etablierte Täternetzwerke von katholischen Klerikern (mit Verbindungen zu anglikanischen Klerikern), die zudem in den nicht-kirchlichen Bereich hinüberreichen. Hierbei wurden Erkenntnisse der soziologischen Netzwerktheorie und der kriminologischen Analyse des organisierten Verbrechens auf empirischer Grundlage weiterentwickelt. Besonders beeindruckend war das aufwändige Kartographieren („Mapping“) der örtlichen Zusammenhänge zwischen Tatorten, Tätern und Betroffenen, zum Beispiel für den australischen Bundesstaat Victoria.
Forschende setzen Netzwerkanalyse ein
Die Instrumente der Netzwerkanalyse ermöglichten es, Informationen so aufzubereiten, dass Zusammenhänge sichtbar würden. Dabei würden im Bereich der katholischen Kirche auch Zusammenhänge deutlich, an die die Kirche kaum gedacht haben dürfte, so das Forschungsteam. Ineinander übergehende Netzwerke zeichneten für Australien nach, wie eine Institution wie die katholische Kirche bis auf die bischöfliche Führungsebene Taten in Täternetzwerken ermöglicht, toleriert und nicht entgegengewirkt habe. Forscherinnen aus Schottland und Irland ergänzten diese Befunde aus netzwerktheoretischer und empirischer Sicht.
Täternetzwerken auf die Spur zu kommen, sei eine methodische Herausforderung, da insbesondere Akten oft nicht aussagekräftig seien, betonten Forschende aus Deutschland. Wie angemessen mit Berichten von Betroffenen umgegangen werden kann oder welche Probleme sich stellen, wenn beispielsweise in einer deutschen katholischen Diözese mögliche Netzwerke ermittelt werden, war Gegenstand weiterer Vorträge. Ein Vortrag präsentierte Ähnlichkeiten und Unterschiede von Täternetzwerken in Portugal, Chile, Australien und Deutschland. Dabei wurde erneut deutlich, dass Täternetzwerke kein Problem nur kirchlicher Milieus sind. Vor allem dürfe das Thema Täternetzwerke nicht auf das schwierige und umstrittene Thema der rituellen Gewalt reduziert werden. Wo das geschehe, dränge sich der Eindruck auf, dass generell vom Thema Täternetzwerke abgelenkt werden solle, wurde in der Diskussion betont.
Die Heidelberger Tagung ist ein Meilenstein der Aufarbeitungsforschung. Vor allem ist es wichtig, Erkenntnisse aus anderen Ländern zu berücksichtigen.
Stephan Rixen
Die Aufarbeitungskommission wird sich weiterhin mit dem Thema „Täternetzwerke“ befassen und hierzu auch künftig das Gespräch mit Expert*innen aus Wissenschaft und Aufarbeitungspraxis sowie mit Betroffenen suchen.
